Vom Testimonial zum Brand Babo: Wie neue Player die Marketingwelt aufmischen
Was ist passiert, dass Hip-Hopper und Rapper angeheuert werden, um Luxushandtaschen und Tiefkühlpizza zu verkaufen? In seiner Talking Head-Kolumne beschreibt Dr. Marc Schumacher, CEO von AVANTGARDE Group, eine nie dagewesene Machtverschiebung im Marketing und die immense Bedeutung von Cultural Branding.
Der Tod des Modepioniers Virgil Abloh war ein schwerer Verlust für Louis Vuitton. Über ein Jahr hat es gedauert, bis die wertvollste Luxusmarke der Welt der Öffentlichkeit einen würdigen Nachfolger präsentieren konnte: Pharrell Williams heißt der neue Kreativdirektor für die Herrenkollektion des Modehauses. Dass die Wahl für einen der wichtigsten Modeposten nicht auf einen aufstrebenden Fashiondesigner, sondern auf Pop-Superstar („Happy“) und Musik-Produzenten Pharrell Williams fiel, bezeichneten manche als Sensation. Doch in Wahrheit ist die Entscheidung für den 13-fachen Grammy-Gewinner und Mode-Quereinsteiger naheliegend und eine logische Konsequenz der tiefgreifenden Umbrüche im Marketing.
Ein zweites Beispiel. Nicht aus der internationalen Fashion-Welt, sondern aus deutschen Supermärkten. „Soulfood von der Straße für die Straße.“ Mit diesem vollmundigen Versprechen packte Deutschlands erfolgreichster Rapper Capital Bra Rindersalami auf Teigboden und brachte 2020 die „Gangstarella“-Pizza ins Kühlregal. Das Ergebnis: fünf Millionen verkaufte Pizzen binnen eines Jahres. Auch Rap-Kollege Haftbefehl serviert inzwischen erfolgreich seine „Babo Pizza“ mit Salami oder Chicken Hollandaise.
Das Phänomen, dass Musiker heute nicht mehr nur Hits, sondern auch Luxus-Handtaschen, Tiefkühlpizza oder wie Travis Scott für McDonald‘s Hamburger und Pommes verkaufen können, ist Folge einer Machtverschiebung im Marketing. Es steht stellvertretend für das, was ich „The Great Disconnect“ nenne: Die Gen Z hat sich entkoppelt von den klassischen Medien und lässt sich mit herkömmlichen Werbekampagnen nur noch schwer erreichen. Jenseits der gelernten Paradigmen und Mechanismen hat ein Umbruch stattgefunden, der Marketeers ratlos zurücklässt: Wo und wie können wir junge Consumer heute ansprechen und begeistern?
Die neuen Sender im Marketing kennen die Codes
Celebrities aus Popkultur, Sport und Entertainment drängen in das entstandene Vakuum – mit ihren großen Communities im Schlepptau. Dies als Testimonial- oder Influencer-Marketing zu bezeichnen, wird der disruptiven Kraft der Entwicklung nicht gerecht. Auch wenn Pharrell nicht Design studiert und Capital Bra keine Pizzarezeptur entwickelt hat, prägen sie die jeweilige Marken- und Produktwelt entscheidend mit und übertragen ihre Glaubwürdigkeit verlustfrei auf Bereiche, die auf den ersten Blick wenig mit ihren Kernkompetenzen zu tun haben. Warum das funktioniert? Weil sie Teil einer Subkultur sind und deren Codes nicht nur kennen, sondern mitkreiert haben. Weil sie nicht nur eine große Audience mitbringen, sondern auch bestens wissen, was diese will und wie sie zu erreichen ist.
Die zentrale Frage: Wem vertrauen die Konsumenten?
Unternehmen müssen – ebenso wie Marketing-Profis – dringend anerkennen, dass ihr Wirkungsgrad stärker limitiert ist, als sie es bislang gewohnt waren. Und dass ihnen auch ein üppiges Marketing-Budget nicht zwingend die relevanten Zielgruppen erschließt. Außerhalb des gewohnten Spielfeldes haben sich in den einzelnen Communities neue Player etabliert, denen die Konsumenten vertrauen und die genau jene Dialogfähigkeit besitzen, nach der sich die traditionellen Markenunternehmen so sehnen. Das müssen nicht immer Einzelpersönlichkeiten sein, auch Nischen-Unternehmen, die sehr nah dran an ihren Zielgruppen sind, können diese Rolle einnehmen.
Wenn E-Commerce-Gigant Zalando die Streetwear-Plattform Highsnobiety kauft, dann nicht, um sich diese samt ihrer jungen, kaufkräftigen Community einzuverleiben oder vom Markt zu räumen. Sondern, um Zugang zu einer Szene zu bekommen, die für Zalando bislang nicht erreichbar war. Highsnobiety kennt die Codes seiner Community. Zalando kann diese Expertise als eine Art Kommunikationskatalysator nutzen, um gezielt den kulturellen Anschluss an die begehrte Zielgruppe herzustellen. Oder wie es Highsnobiety-Gründer David Fischer im Interview mit der NZZ formulierte: Die „Kernleistung“ seiner Firma bestehe darin, Marken dabei zu unterstützen, sich „kulturell authentisch“ zu positionieren.
Die Brand als Spielwiese für neue Player
Die Voraussetzung dafür, dass dieses Cultural Branding gelingt, ist ein gelassener und kreativer Umgang mit den eigenen Markengrenzen. Eine Brand sollte sich heute immer auch verstehen als Plattform und Bühne für Persönlichkeiten, die den Zeitgeist prägen. Passenderweise preist Louis Vuitton im Statement zur Personalie Pharrell diesen als „universelle kulturelle Ikone“. Solche kulturellen Leitfiguren können ihre Möglichkeiten allerdings nur dann voll entfalten, wenn sie nicht ferngesteuert und ausgebremst werden, sondern wenn man ihnen die Lufthoheit bei der Produktentwicklung und Kommunikation zugesteht und so ihre einzigartige Verbindung zu ihren Fans nicht sukzessive schwächt, sondern lebendig hält. Wenn dieses Öffnen der Markenwelt auf spielerische und trotzdem souveräne Art gelingt, kann sich der vermeintliche Umweg über marken- oder branchenferne Persönlichkeiten als der direkte Weg erweisen, um aus Konsumenten echte Fans einer Brand zu machen.